Interventions for women in tech

Prof. Dr. Karen Holtzblatt

(InContext Enterprises & WITops)

Workshop 11:15 – 12:45 Uhr

Wie müssen Rahmenbedingungen sein, damit Frauen, die in der IT-Branche tätig sind, dort auch bleiben, war Thema und Fragestellung im Workshop von Karen Holtzblatt. Karen Holtzblatt hat „contextual design“ mitentwickelt – eine der ersten und bekanntesten Methoden der nutzungszentrierten Gestaltung, die von Universitäten und Firmen weltweit eingesetzt wird. Schon immer hat sie sich auch dem Thema von Frauen in der IT gewidmet und hierfür vor einiger Zeit die Organisation WITops gegründet, die sich mit möglichen Interventionen beschäftigt, um die Situation für Frauen in der IT zu verbessern. Da Frauen zwar zunehmend für die Tech-Industrie gewonnen werden können, diese zugleich aber in steigendem Maße wieder verlassen, wollte Karen Holtzblatt verstehen, woran das liegt und daran etwas ändern. Dazu stellte sie potenzielle Interventionen vor, die von ihr und ihrem Team entwickelt wurden.

Bei dieser Arbeit stellte sie fest, dass möglicherweise die Frage falsch gestellt ist. Werden die Frauen befragt, warum sie die Branche verlassen haben, nennen sie entweder keine Gründe oder aber, weil sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollten. Also wird die Frage andersherum formuliert: Warum bleiben die Frauen in der IT-Branche, wenn sie bleiben? Und: Verlassen sie das Tech-Unternehmen, wenn sie die dann identifizierten Rahmenbedingungen nicht vorfinden?

Ein Faktor ist der Umstand, dass auch wenn Frauen – dies gilt für Männer in gleicher Weise – nur darüber nachdenken, das Unternehmen zu verlassen, hat dies bereits messbare Folgen. Sie erreichen in der Regel geringerer Zielmarken als jemand, die oder der nicht über einen Arbeitsplatzwechsel nachdenkt. Weiterhin ergab die Forschung von Karen Holtzblatt, dass die Wohlfühlrate am eigenen Arbeitsplatz steigt, je mehr Frauen im Team sind. Dies gilt ebenso für beide Geschlechter. Ziel insgesamt ist es, ein Bewusstsein für diese Zusammenhänge zu schaffen. Wenn nicht mit der „richtigen Brille“ auf das Thema geschaut wird bleibt unverständlich, was im eigenen Unternehmen geschieht. 

Erfolgreich sind Menschen, wenn sie in einem Team dynamisch zusammenarbeiten, in dem sie sowohl führen als auch folgen können. Sie wollen gehört und gefragt werden und sich mit anderen verbunden fühlen. Im Unterschied zu Männern fühlen Frauen sich häufig fremd oder fehl am Platz, wenn sie einen Raum voller Männer betreten. Die oben angesprochene Verbindung mit anderen ist somit nicht gegeben. Weiterhin ist es wichtig, etwas zu tun, was von Bedeutung ist. Das muss nicht sozial relevant sein, sondern eine Herausforderung darstellen. Genau wie Männer lieben es Frauen in der Tech-Branche, an Spitzentechnologie und in einer einflussreichen Industrie zu arbeiten.

Was Frauen und Männer unterscheidet, ist die Haltung. Frauen fühlen sich häufig nicht bereit für eine Herausforderung, wohingegen Männer direkt hineinspringen und anfangen. Was für Frauen funktioniert, ist „Push & Support“. Sie in eine Herausforderung „zu schieben“ und sie gleichzeitig dabei zu unterstützen, führt zum Erfolg. Rollenvorbilder sind ein weiterer Erfolgsfaktor. Es sollten aber nicht nur berühmte Karrierefrauen als Rollenvorbilder in den Fokus gerückt werden, die von der eigenen Wirklichkeit weit entfernt sind. Wichtig sind eher nahbare Personen, die vielleicht ein oder zwei Jahre voraus sind und somit ein Leben führen, dass die Frauen sich auch für sich selbst vorstellen können. Um Frauen für Führungspositionen zu gewinnen hilft eher ein Einblick in das Leben von Führungsfrauen in ihrer Umgebung. Ist dies positiv so regt es zur Nachahmung an.

Eine weitere Rahmenbedingung nennt Karen Holtzblatt "wertfreie Flexibilität" und meint damit, dass das Team in respektvoller Weise die Möglichkeit bietet, Haus- und Erwerbsarbeit in ein Gleichgewicht zu bringen. Nicht gemeint sind Jobsharing, Tagespflege oder gute Bedingungen für Elternurlaub, denn dies ändere nichts. Es geht darum, den Alltag im Unternehmen zu verändern, darauf zu schauen, was dort jeden Tag geschieht. Selbst wenn alles im Unternehmen getan wurde und verankert ist, so bleibe das Selbstbewusstsein der Frauen unter dem der Männer. Daher müssen Interventionen auch bei der Persönlichkeit jeder Einzelnen ansetzen. So lehrt Karen Holtzblatt ihre Schülerinnen und Schüler, ihre persönliche Kraft nicht zu verlieren, egal, was passiert. Dabei muss der Fokus für Veränderung auf sich selbst gerichtet sein.

Ob es sich um eine Produktentwicklung, eine Führungskräfteentscheidung oder einen akademischen Kontext handelt, in dem zusammengearbeitet wird – Schlüsselfaktoren sind das Zugehörigkeitsgefühl, Wertschätzung und etwas zu tun, dem Bedeutung beigemessen wird. Im Folgenden beschreibt Karen Holtzblatt was ein Tech-Team besonders macht. Das "making" spielt eine besondere Rolle: Es wird tatsächlich an einem gemeinsamen Produkt gearbeitet. Es sind „Macher/innen“ am Werk, die täglich miteinander ringen, die die Anforderungen der Anwender/innen verstehen und miteinander besprechen müssen. Sie sind ein „echtes“ Team, in dem wirklich kollaborativ gearbeitet wird.  

Verluste entstehen dort, wo die Mitarbeiter/innen-Fluktuation groß ist. In Teambildungsprozessen werden vier Phasen unterschieden: Formierungs-, Konflikt-, Regel- und Arbeitsphase („forming-storming-norming-performing“). Verlassen immer wieder Mitglieder das Team und kommen neue hinzu, so kommt das Team kaum über die Konfliktphase hinaus und kann somit nicht produktiv für das Unternehmen arbeiten. Probleme entstehen insbesondere dort, wo Menschen zusammenkommen und nicht wissen, was zu tun ist, wenn es keine Rollen, keine Regeln, keine Standards und auch keine bekannten Praktiken gibt. Hierfür schafft z. B. das agile Arbeiten Abhilfe, das einen hohen Grad an strukturiertem Arbeiten beinhaltet. Wo jede und jeder weiß, was zu tun ist, die Rollen klar definiert und strukturierte Praktiken üblich sind werden Geschlechterfragen überflüssig, so Karen Holtzblatts Erfahrung aus dreißig Jahren.

In einem von ihr geführten Interview mit dem Direktor eines Unternehmens, in dem agil gearbeitet wird, wurde beschrieben, wie positiv Agilität wirkt. Ein Team setzt sich zusammen, klärt, was für eine Art Team es sein will, welche Fähigkeiten jede und jeder hat und wer welche Rolle einnimmt. Dies wird in einem Teammanifest dokumentiert. Aufgrund von Umstrukturierungen mussten zwei Teams fusionieren. Hätten die Teams keine Teammanifeste, wären sie zurückgekehrt zur Konfliktphase. So aber setzten sich die Mitglieder beider Teams zusammen, legten ihre jeweiligen Manifeste auf den Tisch, glichen sie ab und formulierten ein daraus abgeleitetes neues Manifest. Damit sind sie in der Lage, innerhalb eines Tages in die Arbeitsphase zu kommen. Themen wie Zuhören, aber auch der Umgang miteinander und das, worüber sich empört werden sollte, kann in einem Teammanifest beschrieben werden.

Auch wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturen stammend in einem Team zusammenarbeiten sollen, hilft dieses strukturierte Vorgehen. So hat Karen Holtzblatt Männer und Frauen aus aller Welt die Frage diskutieren lassen: Was versteht ihr unter „rude“ (1) (deutsch: unhöflich, grob, rücksichtslos, unverschämt). Nach der Diskussion wurde ein Konsens gebildet und dies im Teammanifest niedergeschrieben. Damit haben die Teammitglieder ein gemeinsames Verständnis entwickelt, das Konflikte in der täglichen Zusammenarbeit minimiert. Denn immer, wenn eine Person mit sich selbst beschäftigt ist aufgrund eines durch ein anderes Teammitglied ausgelöstes Ärgernis ist sie nicht mehr „bei der Arbeit“. Somit ist ein Teammanifest ein Teil eines strukturierten Prozesses, der hilft zu verstehen, dass zwischenmenschliche Dynamiken nicht der Weg sind, um Dinge fertigzustellen.

Eine der Befragung von Karen Holtzblatt zeigte, dass 80 % der Frauen in ihrem Selbstbewusstsein geschwächt werden, wenn ihre Arbeit kritisiert wird. Sie versuchen, damit umzugehen, indem sie mit Menschen darüber sprechen, wie sie sich fühlen. In einem Tech-Review bzw. einer Iteration ist Kritik Teil des kreativen Prozesses. Aber nur gesagt zu bekommen, dies ist nicht richtig und jenes mag ich nicht, ist wenig hilfreich. Kritisiert zu werden ist nie einfach, aber um Kritik konstruktiv zu machen, müssen vorab Gütekriterien definiert sein. Wenn es diese nicht gibt, ist Kritik grundsätzlich ungerechtfertigt. So hilft ein formaler Kritikprozess, um mit Themen wie Selbstbewusstsein angemessen umgehen zu können und dabei weiter produktiv zu sein. Hierbei wird auf Prinzipien und Praktiken fokussiert, nicht auf Persönlichkeiten.

Anschließend forderte Karen Holtzblatt die fünfzehn Teilnehmerinnen und drei Teilnehmer auf, sich in Dreiergruppen zu finden und jeweils positive und negative Merkmale von Arbeitsprozessen zu nennen. Die Ergebnisse wurden anschließend gesammelt und präsentiert.

In Bezug auf Arbeitsprozesse wurden folgende Positivmerkmale genannt: die Lobrede auf Arbeitsergebnisse, die Bekanntheit und Nutzung der Kernkompetenzen der Teammitglieder, und die Sinnhaftigkeit von Besprechungen. Negativpunkte sind: der Fokus liegt auf den Personen und nicht auf dem Produkt bzw. der Gestaltung des Produkts, das Arbeitstreffen ist „überpersonalisiert“, und wenn die Teilnehmer/innen des Arbeitstreffens sich in ihrem eigenen Universum bewegen und Abteilungsdenken pflegen. Die meisten Menschen hassten Besprechungen, so Karen Holtzblatt, da sie kein Ziel sehen, sie wissen nicht, weshalb sie daran teilnehmen, die Besprechung ist unorganisiert und letztendlich nutzlos.

Nach Karen Holtzblatt zeichnet sich Professionalität auch darin aus, dass die Rollen in der Arbeitswelt konsequent ausgefüllt werden. Die „Arbeitsperson“ ist klar definiert und wurde selbst gewählt. Die Sprache sollte gradlinig sein, es sollte an den Aufgaben und nicht an den Beziehungen gearbeitet werden. Demzufolge sind Emotionen hintanzustellen: sich zu beklagen und zornig zu sein sollte vermieden werden. Es gilt, eine Kultur der Selbstreflexion zu etablieren, die gemeinsam festgelegten Regeln folgt. Die verwendete Sprache sollte so sein, dass Teammitglieder nicht persönlich angegriffen, sondern in ihren Stärken unterstützt werden.

Abschließend forderte Karen Holtzblatt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf sich zu überlegen, wen sie ab morgen in ihrem Unternehmen oder ihrer Organisation unterstützen werden. „You have to do something, that’s the only way we make a change.“

(1) https://www.witops.org/managing-interpersonal-dynamics-in-teams-what-is-rude/

GENDER//WISSEN//INFORMATIK" in den soziale Netzwerken