Gut gemeint ist nicht gut gemacht – Wie sensibilisiert man Kolleg*innen?

Prof. Dr.-Ing. Kira Kastell

(Frankfurt University of Applied Science)

Workshop 10:30 -12:00 Uhr

Kira Kastell ist Professorin für Elektrotechnik mit Schnittstellen zur Software. Sie berichtete zunächst von ihren Erfahrungen: Als Frau in einem technischen Bereich wurde sie nach ihrem Studium schnell mit der Erarbeitung eines Frauenförderplans betraut. Wenn eine zweite Frau ins Team kam, wurde häufig angenommen, sie müsste sich ja mit dieser gut verstehen, weil sie auch eine Frau ist. Diese typischen Denkmuster hat sie häufig erlebt und sie hat sich gefragt: Muss ich der Auslöser sein? Muss ich Menschen daran erinnern, dass gendergerechte Sprache eingesetzt wird? Ist das Thema Gender immer Sache der Minderheit, die gefördert werden soll? Oder können Frauen darauf hoffen, dass ein Mann das Thema anspricht, damit es nicht immer die „benachteiligte Frau“ ist, die darauf hinweist?

Die klischeehafte Annahme über Frauen: „Kennst du eine, kennst du alle“ gilt für niemanden, denn wir sind alle individuell und suchen uns kontextabhängig und kompetenzbezogen Teams. Auch Männer sollten darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie nicht in jeder Lebenslage genauso denken und handeln wie alle anderen Männer.

Wir brauchen eine Teamkultur, in der Frauen sich wohlfühlen. Wie kommen wir dahin? Gibt es überhaupt eine Teamkultur, in der sich alle Frauen wohlfühlen? Und inwiefern ist diese anders als eine, in der sich Männer oder Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen wohlfühlen? Häufig wird unterstellt, dass Frauen auch noch dafür zuständig sind, dass sich alle anderen in einem Team wohlfühlen. Wenn Frauen allerdings für alle mitdenken müssen, kommen sie dann noch zum Arbeiten?

Introvertierte Frauen, die in Meetings eher zuhören und reflektieren, werden in Meetings von (meistens extrovertierten) Männern häufig übersehen. Es gibt allerdings auch introvertierte Männer, die von einer veränderten Teamkultur profitieren würden. Personen, die in Meetings nichts sagen, aktiv nach ihrer Meinung zu fragen, ist eine triviale und leicht umzusetzende Möglichkeit, die aber oft nicht genutzt wird, weil alle froh sind, wenn es einen Konsens gibt. Besonders in Softwareentwicklungsteams ist es nicht förderlich, wenn jemand sich die ganze Zeit zurückhält und am Ende eine Idee einbringt („Wenn ihr mich früher gefragt hättet…“).

Wie gehe ich auf unterschiedliche Menschen ein? Wie schaffe ich es, dass Männer für Frauen mitdenken? Letzteres ist ein hoher Anspruch, da niemand erwarten kann, dass Frauen wie Männer oder Männer wie Frauen denken können. Genau aus diesem Grund sind gemischte Teams sinnvoll. Kira Kastell berichtete von einer Situation, in der ein männlicher Kollege stolz war, dass ihm in einem Text eine nicht optimale gendergerechte Sprache aufgefallen war. Ziel ist, dass es Personen in verschiedenen Settings auffällt, wenn Diversity nicht ausreichend berücksichtigt wird. Das bedeutet noch nicht, dass die passende Maßnahme zur Hand ist – doch die Verschiedenartigkeit sollte stets mitgedacht werden.

An dieser Stelle sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Gruppen zu folgenden Fragen diskutieren: Wie kann ich eine Atmosphäre am Arbeitsplatz beschreiben, in der ich mich wohlfühle? Was ist mir wichtig? Was sind Faktoren, die beeinflussen, ob ich mich wohlfühle oder nicht?

Folgende Punkte wurden gesammelt:

  • Zuverlässigkeit, unabhängig vom Geschlecht
  • Austausch mit gleichgesinnter weiblicher Person zur gegenseitigen Unterstützung, besonders bei Quereinstieg
  • Mentoring und Role Models bringen weiter
  • Sowohl Männer als auch Frauen sollten für DiversityThemen sensibilisiert sein
  • Gefördert werden und selbst fördern
  • Aktives Zuhören und Hinweisen auf nicht gehörte Minderheiten
  • Dominante und marginalisierte Perspektiven berücksichtigen und ggf. verstärken
  • Konstruktive Fehlerkultur: Fragen stellen ist erlaubt, gegenseitige Unterstützung
  • Kein Smalltalk vs. Smalltalk für mehr Verständnis für persönliche Situationen (in jedem Fall: Balance zwischen Professionalität und Empathie)
  • Es sollte immer um Kompetenzen gehen und nicht um Stereotype
  • Nicht: „Der/die Lauteste hat Recht“
  • Entscheidungen sollten im Team besprochen und transparent gemacht werden – wenn Dinge „nebenbei“ und „unter der Hand“ geklärt werden, verbaut das marginalisierten Personen Zugänge
  • Festgefahrene Strukturen überdenken (z. B. das Stereotyp, dass Frauen in Firmen die Beziehungsarbeit leisten müssen)
  • Rollenwechsel, Ausprobieren, Kompetenzen erwerben
  • Kooperatives Arbeiten
  • Klare Zeit und Redestruktur in Meetings
  • Führungskraft muss mitmachen
  • Vertrauensvolle Atmosphäre, in der alle authentisch sein können alle
  • Gehört werden, auch wenn die eigene Stimme nicht so kraftvoll ist
  • Keine sexuellen Anspielungen (auch nicht gegenüber Männern)
  • Im Studium dafür sensibilisieren, wie das Arbeitsleben ist und im Arbeitsleben dafür Verständnis haben, welche Erfahrungen im Studium gesammelt wurden (einige Teilnehmerinnen haben die Erfahrung gemacht, dass Ungleichheiten im Studium weniger deutlich sind, da das Geschlechterverhältnis ausgeglichener und die Altersstruktur homogener ist – das sieht aber wiederum anders aus, wenn das Berufsleben an Hochschulen in den Blick genommen wird – Frauen, die im wissenschaftlichen Umfeld aufsteigen wollen, stoßen auch auf Barrieren)
  • Klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten, Fairness
  • Kritikkultur
  • Doppelbelastungen respektieren (häufig leisten die Frauen die Erziehungsarbeit in der Familie): keine Diskussionen, wenn jemand nachmittags nicht im Büro ist, sich nicht rechtfertigen müssen, wertgeschätzt werden
  • HomeOffice-Regelungen und Arbeitszeiten, flexibles Arbeiten wirklich leben

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tauschten außerdem Erfahrungen und Tipps aus, wie mit unangenehmen Situationen umgegangen werden kann. Falls beim Gegenüber eine Aufgeschlossenheit dafür da ist, das eigene Verhalten zu verbessern, empfiehlt es sich, konkrete Tipps zu haben. Oft ist es Personen nicht bewusst, wenn sie sich unangemessen verhalten. Bei Komplimenten zur Kleidung im beruflichen Kontext könnten Betroffene einen Mann fragen, ob er das auch zu einem Mann gesagt hätte; oder mit einem neutralen „Aha“ deutlich machen, dass die Aussage nicht gewünscht ist. Kolleginnen zu bitten, weibliche Expertinnen (z. B. externe Trainerinnen) ebenso zu loben und weiterzuempfehlen, wie sie es bei Männern machen würden, kann ebenfalls helfen.

Selbst von Ungleichheiten betroffene Personen sind nicht frei von Bias. Was hilft, ist eine Kultur, in der jede/r jede/n darauf ansprechen kann, wenn etwas falsch läuft, um zu klären, ob es sich um ein Kommunikations- oder Diversity-Problem handelt.

In der zweiten Diskussionsphase sollten die Gruppen besprechen, wie die zuvor beschriebene optimale Teamkultur erreicht werden kann. Was hat bereits gut funktioniert, was nicht? Wie sensibilisiere ich, ohne einen kompletten wissenschaftlichen Vortrag zu halten, immer Regeln zitieren zu müssen oder den Zeigefinger zu heben? Was kann ich selbst tun?

Folgende Ergebnisse wurden gesammelt:

  • Positives Verhalten bestärken (oft wird nur gesagt, was negativ ist)
  • Sich auf der operativen Ebene gut mit (auch männlichen) Kollegen vernetzen, um diese zu motivieren, Partei zu ergreifen: Im Fall von sexueller Diskriminierung entsteht eine ganz andere Dynamik, wenn ein Mann auf einen unpassenden Spruch hinweist (guter Hebel für Veränderungen in der Teamkultur, aber nicht planbar)
  • Frauen explizit ansprechen und bestärken, Führungsverantwortung zu übernehmen
  • Die Art und Weise, wie jemand auf etwas Unpassendes hingewiesen wird, ist wesentlich: Freundlich aber bestimmt positionieren anstelle von Beschimpfungen
  • Feedback einfordern und Feedback geben (z. B. jemanden darauf hinweisen, ein Spitzname nicht verwendet werden soll)
  • Zeichen setzen, auch mal etwas neu machen, selbst wenn es alte Strukturen durchbricht
  • Aus den eigenen Schubladen herauskommen: Auch Männer fragen, wie sie Job und Familie vereinbaren und wie es mit der Erziehung läuft
  • Vorbereitet in Gespräche mit Führungskraft gehen (Was ist mein Ziel, was will ich erreichen?), denn: Oft ist das Gegenüber bereit, auf jemanden einzugehen, wenn es wüsste, was genau jetzt hilfreich wäre

Folgende Erfahrungsberichte teilten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer:

  • In einer Teamsitzung brachte eine Frau eine Idee ein, woraufhin ein Mann diese aufgriff und dafür wertgeschätzt wurde. Ein anderer Teamkollege machte darauf aufmerksam, dass dieselbe Idee vorher bereits von der Kollegin unterbreitet worden war. 
  • Bei einem Training mit einer externen Moderatorin mit hauptsächlich weiblichen und zwei männlichen Mitarbeitern fiel auf, dass die Moderatorin keine geschlechtergerechte Sprache verwendete. Einer der Männer wies sie humorvoll darauf hin. Die Moderatorin, der die Problematik zuvor nicht bewusst war, nahm das an und auch andere Teammitglieder achteten anschließend verstärkt darauf. Die betroffene Frau in dem Training fühlte sich entlastet, dass sie es als Frau nicht ansprechen musste, sondern ein Mann das übernommen hat.
  • Ein wünschenswertes Ziel ist, dass die jeweils bevorzugte Gruppe in einem Setting sich auch für die jeweils unterrepräsentierte Gruppe einsetzt.
  • In einer Lehrveranstaltung an einer Hochschule saß ein junger Vater mit seinem kleinen Kind. Einige der anderen Männer zeigten Interesse und stellten Fragen. Das Bewusstsein für Vereinbarkeitsfragen vergrößerte sich in der Gruppe, als dass es das vermutlich getan hätte, wenn es sich um eine Frau mit ihrem Kind gehandelt hätte.
  • In einem Großraumbüro verließ eine Frau mit Familienverantwortung nachmittags den Schreibtisch, woraufhin ein Kollege mit der Frage „Gehst du schon?“ reagierte. Die Frau fühlte sich damit nicht wohl und sprach ihn unter vier Augen darauf an, wie es ihr damit ging. Der Kollege hatte mit seiner Bemerkung nichts Böses im Sinn gehabt und wurde durch das Gespräch sensibilisiert.
  • An einer Hochschule arbeiteten zwei Frauen in geteilter Führung, nachdem eine umziehen wollte und nicht mehr vor Ort sein konnte. Davon inspiriert haben sich zwei Männer gemeinsam auf eine Professur beworben, um sich jeweils 50 Prozent ihrer Zeit um ihre Familie kümmern zu können, wovon alle profitieren.

Zum Ende des Workshops zog Kira Kastell ein Fazit: Es sind marginale Fortschritte erkennbar, aber es ist noch viel zu tun. „Gut gemeint ist nicht gut gemacht – Wie sensibilisiert man Kolleg*innen?“ ist keine Frage, die mit einem 10-Punkte-Plan abgearbeitet werden kann. Auf dem gemeinsamen Erfahrungswissen aufzubauen, ist aber ein wichtiger Schritt.

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